Wie viele Menschen kennst du, die in ihrem Leben schon einmal gelitten haben? Wahrscheinlich alle, dich eingeschlossen und mich. Leid scheint allen von uns zu widerfahren, ob wir es wollen oder nicht.
Mache dir selbst einmal bewusst, was Leid in dir auslöst. Du kannst dir sicherlich Schöneres vorstellen, als über leidvolle Situationen nachzudenken, jedoch kannst du durch Reflektion darüber viel eher die Wurzel des Leids finden und etwas daraus lernen. Was lässt dich besonders leiden und warum?
Im Folgenden soll es um die sogenannten „4 edlen Wahrheiten“ gehen, welche den Kern der buddhistischen Lehre darstellen. Sie stellen einen weiteren Wegweiser dar, um hinter die Illusion des Ichs zu schauen und letztlich Leid in jeglicher Hinsicht zu beenden.
Die vier edlen Wahrheiten
- Das Leben ist Leiden.
- Es gibt Ursachen, warum du leidest.
- Daher gibt es ein Ende des Leidens.
- Es gibt ein Weg, der zum Ende des Leidens führt.
Die erste edle Wahrheit
Sie besagt, dass Leben generell mit Leiden verbunden ist:
„Das Leben im Daseinskreislauf ist leidvoll: Geburt ist Leiden, Altern ist Leiden, Krankheit ist Leiden, Tod ist Leiden; Kummer, Lamentieren, Schmerz und Verzweiflung sind Leiden. Gesellschaft mit dem Ungeliebten ist Leiden, das Gewünschte nicht zu bekommen ist Leiden. Kurz, die fünf Anhaftungen sind Leiden.“
-Wilhelm Geiger
Die fünf Anhaftungen, auch die fünf Skandhas genannt, beschreiben kurzgesagt die verschiedenen Ebenen, an welchen unser Ich sich klammert: Körper, Gefühle, Wahrnehmung, Geistesformation und Bewusstsein. Alle Anhaftungen unseres Ichs sorgen für Leid.
Beispielsweise haftest du an der Vorstellung, dass es regnet, und du wünscht dich in einen anderen Zustand hinein, in welchem es trocken ist. Oder aber du ärgerst dich, weil du deinen Wecker nicht gehört hast und zu spät zur Arbeit kommst. Ein Mensch enttäuscht dich, weil du eine festes Bild von seinen Wesenszügen hattest. Wieder einmal verneinst du die Gegenwart und begibst dich in eine illusorische Welt.
Die zweite edle Wahrheit
Für alle diese Anhaftungen und das daraus resultierende Leid existieren klare Ursachen, die du identifizieren kannst.
Es ist zum einen die Unwissenheit oder auch Unbewusstheit, unsere Vorstellung etwas zu sein oder zu werden, unser Verlangen und unsere Gier, welche häufig nur ein Ausdruck von Gefühlen der Minderwertigkeit ist.
Es ist unser Streben nach Macht, Reichtum und sinnlicher Lust.
Hierbei gilt es aber wieder zu beachten, dass Streben, Sinneslüste und Verlangen nicht an sich schlecht sind und komplett vermieden werden sollten. Viele interpretieren dies in den Buddhismus hinein und sagen dann allem ab und ziehen sich zum Beispiel komplett von dem Leben und der Gesellschaft zurück. Du kannst Anhaftungen dadurch einfacher erkennen und auflösen, jedoch musst du dies nicht tun.
Die Anhaftungen können dazu in gewisser Weise auch als Abhängigkeiten betrachtet werden. Werft nun wieder einmal den Blick auf euch selbst und fragt euch, wo eure stärksten Anhaftungen liegen. Wogegen wehrt ihr euch am meisten und wovor flieht ihr am meisten?
Die dritte edle Wahrheit
Schaffen wir es nun, die Ursachen zu identifizieren und letztlich loszulassen, befreien wir uns vom Leiden. Wir halten Zustände, Vorstellungen, Glaubenssätze, Urteile usw. nicht mehr fest und entfernen unsere selbst angelegten Ketten. Im Buddhismus wird dies auch als Nirvana bezeichnet.
Wir haben also durch genaue Beobachtung von uns selbst und der Welt letztlich den Ausweg aus dem Labyrinth des Leidens gefunden. Meistens geht dieser Prozess jedoch wieder stückweise voran und nicht plötzlich. Er kann mehrere Monate, eher Jahre in Anspruch nehmen und erfordert, dass jede Situation für sich erkannt und der Ursprung des Leidens begründet werden kann. Bewusstheit und Konzentration spielen hierbei auch wieder eine große Rolle, da wir schnell dazu neigen, die Beobachterperspektive zu verlassen und im Geschehen förmlich „unterzugehen“.
Häufig fällt es uns schon sehr schwer, überhaupt in die Beobachterperspektive zu kommen. An alles und jeden hängen wir unsere Etiketten und trennen uns von alles und jedem. Wir müssen einen Schritt zurück machen und alle Vorgänge genaustens beobachten.
Die vierte edle Wahrheit
Wie auch in der dritten edlen Wahrheit schon kurz angeklungen, gibt es einen Weg heraus aus dem Leiden, welcher im Buddhismus als der achtfache Pfad beschrieben wird. Er setzt sich wie der Name schon vermuten lässt aus acht Gliedern zusammen, Insgesamt werden sie häufiger aber auch nur als Tugend, Konzentration und Weisheit zusammengefasst und stellen einen bedeutsamen Teil der buddhistischen Praxis dar.
Befreiung jetzt
Für die meisten von uns heutzutage nicht vorstellbar, jedoch gibt es ihn wirklich, den Weg heraus aus dem Leid. Hierfür müssen wir jedoch viel Disziplin aufbringen und uns selbst genau unter die Lupe nehmen.
Wir müssen unsere Vergangenheit offenlegen und verarbeiten, unsere Konditionierungen und Verhaltensmuster erkennen und die Ursachen unserer Gedanken, Bewegungen und Wahrnehmungen herausfinden.
Der achtfache Pfad des Buddhismus stellt dabei ein gutes Grundgerüst dar, mit welchem der/die Suchende näher an die Erkenntnis des wahren Selbst gelangen kann. Nur vergesst dabei niemals: All diese Gedankengebäude und Techniken dürfen für euch nichts mehr als Werkzeuge sein, welche ihr benutzt und wieder ablegt. Ansonsten kommen nur neue Anhaftungen hinzu.